Quelle: Abendblatt.de
(direkten Link habe ich leider nicht)
Auch im "Karnevals-Klub" Mainz kracht es
MAINZ -
Jürgen Klopp (39) ist ein Spezialist in Sachen Kurz-Trainingslager. Immer, wenn es um Mainz 05 nicht zum Besten stand, ließ der Trainer die Koffer packen und zog in die Ferne. Das Sporthotel Erbismühle im Taunus, wo der HSV am Mittwochabend eintrifft, kennt auch Klopp bestens: In der letzten Zweitliga-Saison bereitete er sein Team im Herbst 2003 und im Frühling 2004 unter der Woche auf die nächsten Spiele vor - und immer ging es danach aufwärts.
Vor der vergangenen Bundesliga-Partie in Gelsenkirchen ging Klopp mit seinen Spielern wieder auf Reisen, dieses Mal in den Westerwald. Damit die Profis sich auf den Fußball konzentrieren können und der Zusammenhalt gefördert wird. Doch nach dem 0:4 auf Schalke wächst in Rheinhessen die Erkenntnis, dass es in dieser Saison noch schwerer als in den beiden vergangenen Spielzeiten wird, die Klasse zu halten. Dabei mussten die Mainzer (acht Punkte, Rang 1
auch schon in der vergangenen Serie den Fehlstart von fünf Niederlagen in Folge kompensieren.
In seiner siebten Saison als Coach der Mainzer geriet bundesweit vor allem Klopp in die Schlagzeilen, der während der WM noch als ZDF-Experte glänzte und inzwischen sogar von der Werbung (Schokoriegel) entdeckt wurde. Von Neid war die Rede, von Abnutzungserscheinungen. Dabei lenken solche (ungerechten) Behauptungen vom Kern der Mainzer Probleme ab: Die Mannschaft konnte die Abgänge von Mohamed Zidan (Bremen), Michael Thurk (Frankfurt), Benjamin Auer (Bochum) und vor allem Antonio da Silva (Stuttgart) nicht kompensieren, viele der Neuzugänge enttäuschten, wie zum Beispiel Markus Feulner, vor allem aber Mimoun Azaouagh und Du-Ri Cha. Ausgenommen ist davon der frühere St. Paulianer Ralph Gunesch, der die Erwartungen bisher durchaus erfüllte.
Weil die spielerischen Ideen eines da Silva fehlen, lahmt besonders das Offensivspiel, Torchancen sind Mangelware. Begingt auch dadurch, dass sich die Verpflichtung von Wunschstürmer Andrej Voronin (Leverkusen) zerschlug. Manager Christian Heidel hat bereits angekündigt, dass der Klub in der Winterpause auf dem Transfermarkt tätig wird.
Dass es im "Karnevals-Klub" durchaus auch krachen kann, bewies Heidel am Sonnabend nach der Rückkehr aus Gelsenkirchen. Gegen Mitternacht versammelte er die Mannschaft und hielt eine halbstündige Standpauke. Dabei drohte er unverhohlen damit, dass schon in der Winterpause aussortiert und mit der Planung für die Zweite Liga begonnen würde, sollten die Leistungen weiter nicht stimmen.
Klopp (Vertrag bis 2008) muss dagegen nicht befürchten, dass an seinem Denkmal gerüttelt wird. Zwar regte der Coach bei der vergangenen Mitgliederversammlung eine Gedenkminute an, in der sich alle Mitglieder an den Aufstieg und die damit verbundenen Gefühle erinnern sollten, weil auch er registriert hat, dass die Ansprüche trotz des weiter geringen Etats von 27 Millionen Euro gewachsen sind. Doch in Mainz sagt man: Klopp könnte nackt über den Domplatz hüpfen und müsste keine Konsequenzen befürchten.
Ob er allerdings in seinem tiefsten Inneren glücklich ist, vor dem eminent wichtigen Abstiegskampf-Duell heute Abend als ZDF-Experte das Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft auf Zypern kommentieren zu müssen, ist fraglich.
erschienen am 15. November 2006